Die
Nestbau
Experten

Veröffentlicht am 07.11.2019

Die Rebenwand – eine Idee wird Realität

Die Idee

Die Mosel-Region ist Deutschlands älteste Weinregion und heute wesentlich durch den Tourismus geprägt. Daher wird auf das Erscheinungsbild der Ortschaften ein besonderer Wert gelegt. Im Zuge von Baumaßnahmen (Neubau-, Restaurations- und Sanierungs­arbeiten) sind die regionalen Bauschaffenden immer wieder mit der Aufgabenstellung konfrontiert, dass sich die Architektur, am besten auch schon während der Bauphase, in die ortstypische Bebauung und landschaftliche Umgebung einfügen soll. Gerade bei Gewerbe- und Industrieobjekten verursacht dies oft Diskussionen, weil wirtschaftlichere Lösungen architektonisch gefällig anmutenden Varianten gegenüber stehen.

Diese wiederkehrende Anforderung veranlasste die Geschäftsführung der Firma „Oster  Dach + Holzbau GmbH“ im Rahmen eines ersten Modellprojektes nach einer optisch ansprechenden und in die Region passenden Lösung für freistehende Fassadensysteme zu suchen. Die im Zuge einer Betriebsübergabe anstehende Baumaßnahmen am eigenen Büro- und Produktionsgebäude boten ideale Voraussetzung zur Anwendung einer der­artig raum­kreierenden Außenhaut, mit der beispielhaft ein bis dahin weitgehend funktionales Bauwerk im Gewerbegebiet möglichst substanzschonend und zugleich optisch ansprechender umgestaltet werden sollte.

Der Entwurf

Die architektonische Aufgabenstellung bestand darin, einen ansprechenden Eingangsbereich zu planen und den vorhandenen Büroraum an die aktuellen Bedürfnisse anzupassen. Ein wichtiges Kriterium war der gestalterische Anspruch, dass die optische Struktur sich stimmig in die Landschaft des Moseltales eingliedert und nebenbei eine handwerkliche Visitenkarte des Unternehmens entsteht, welche seine Kernkompetenz im Holzbau repräsentiert.

Gemeinsam mit dem Architekten Sven Propfen wurde ein Entwurf entwickelt, der den in der Firmenphilosophie der Zimmerei und Dachdeckerei Oster tief verwurzelten Grundgedanken „Alte Werte und Leitideen zu bewahren und mit neuen modernen Ansätzen zu kombinieren“ aufnimmt. Die vorliegende gute Bausubstanz wurde gewahrt bzw. erweitert und in ein neues Gewand gefasst. Diese Anforderungen bildeten ideale Voraussetzungen für die Entwicklung eines freistehenden Fassadesystems - der Rebenwand.

Durch die Einhüllung des alten funktionstüchtigen Gebäudes in die neue Fassadenstruktur gelang es, mehrere Aspekte ganzheitlich zu berücksichtigen. Zunächst wird die substanzschonende und somit ressourceneffiziente Aufwertung des Erscheinungsbildes erzielt. Zudem wird durch die Betonung der Vertikalen die geordnete Gestaltung der regional typischen Weinbau-Reben-Hänge wiedergespiegelt. Der Entwurf berücksichtigt soziale und ökonomische Aspekte und entwickelt einen neuen außenwirksamen Unternehmensauftritt. Durch den Einsatz von Holz in der Außenhülle wird das Firmenkonzept der behaglichen Wohnraumschaffung bzw. der Oster-Nest-Wärme auch in der Gebäudearchitektur des Produktionsstandortes abgebildet.

Die Herausforderung

Die Entwicklung des elementierten Fassadensystems war mit großen Unsicherheiten, einem hohen Kostenrisiko und vielen Unklarheiten bezüglich der Dauerhaftigkeit verbunden. Die Anwendung von technisch getrocknetem Holz unter direkter Bewitterung wird auch aufgrund von Ausführungsfehlern häufig mit sehr kurzen Standzeiten in Verbindung gebracht. Der Einsatz moderner CNC-Bearbeitungen an dauerhaften, harten Laubholzarten wie der hier gewählten heimischen Eiche birgt weitere unvorhersehbare Risiken. Beispielsweise sind Standzeiten von Werkzeugen und Bearbeitungsgeschwindigkeiten gegenüber der etablierten Bearbeitung von Nadelholz mit Abbundanlagen weitgehend unbekannt und daher derzeit noch schwierig kalkulierbar. 

Das Konglomerat dieser Unwägbarkeiten hätte ohne die Förderung des Ministeriums für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten des Landes Rheinland-Pfalz eine Realisation dieses innovativen Fassadensystems ausgeschlossen. Erst durch die  Förderung waren die Voraussetzungen gegeben, sich der herausfordernden Aufgabenstellung dieser Neuentwicklung zu widmen.

Ministeriums für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten des Landes Rheinland-Pfalz

Das System Rebenwand

Architektur

Die architektonische Grundidee der Betonung der Vertikalen sollte im Zuge der konstruktiven Ausführung durch auf Lücke angeordnete Kantholzquerschnitte aus Eichenholz realisiert werden.

Weiterhin ist durch die Realisation des Prototyps erkennbar, wie einfach und optisch anspruchsvoll verschiedene Nutzungsbereiche voneinander getrennt und Blickbezüge verändert werden können. Durch die richtungsabhängig bis zu semitransparente Fassadenstruktur wird eine Kubatur mit weitreichendem Raumgefühl geschaffen, sowie eine Teilverschattung realisiert, die auch den sommerlichen Wärmeschutz verbessert. Gleichzeitig werden die Windbe­an­spruchungen in der entstandenen Innenhofsituation reduziert. 

Dass die Rebenwand im Laufe Ihrer Lebensdauer durchaus ein lebendiges und veränderliches Erscheinungsbild mit sich bringt, ist einkalkuliert und sogar gewünscht. Insbesondere aus dem Vergleich der Abwitterung der zum Teil gehobelten und zum Teil sägerauhen Bereiche dürfen im Zuge nachgelagerter Beurteilungen wissenschaftlich relevante und neue Erkenntnisse für Laubholz erwartet werden.

Kosten

Ein wichtiger Aspekt für die Realisierung des Projektes war die Optimierung der lohngebundenen Kosten. So sollten mit Hilfe von maschineller Abbund-Technik möglichst wenige Lohnkosten bei der Herstellung der Konstruktion erzeugt werden.

Auch beim Einkauf der Materialien lag das Augenmerk auf der Wirtschaftlichkeit. So erfolgte die Materialbestellung in direkter Abstimmung mit den produzierenden Betrieben. Bei der Wahl der Eichenkanthölzer wurde, in Absprache mit dem Sägewerk, auf Ressourceneffizienz in Form einer günstigen Rundholzausnutzung geachtet. Sowohl die Querschnittsabmessungen als auch die Elementlängen wurden im Zuge des Entwicklungsprojektes optimiert. Zudem war es wichtig, das Holz regional zu beziehen, um aus den Transportwegen resultierende Kosten sowie CO2 Belastungen zu minimieren.

Für die stählerne Unterkonstruktion sollten vorzugweise handelsübliche Standartquerschnitte (Doppel T- Träger etc.) verwendet und der Materialeinsatz durch angepasste Spannweiten optimiert werden.

Materialität

Dass das Holz im Laufe seiner Nutzung als CO2­-Speicher dient und somit einen Beitrag zum Klimaschutz leistet ist hinlänglich bekannt. Weniger geläufig sind die Substitutionseffekte im Bauwesen. Jede aus Holz gebaute Konstruktion muss nicht aus einem primärenergie­aufwendigerem Baumaterial erstellt werden. Eine ökobilanzielle Vergleichsbetrachtung im Entwurfsstadium ergab für die hölzerne Rebenwand, dass alternative Aufbauten aus Faserzement- oder Hochdrucklaminatplatten bis zu 40 % mehr CO2-Äquivalent in der ökobilanziellen Gesamtbetrachtung erzeugen. Bezieht man die Recyclingfähigkeit in der Betrachtung mit ein, so liegt der Faktor sogar noch höher.

Die Gründe für die Verwendung von Laubholz in der Fassade sind darüber hinaus noch vielfältiger. Zum einen soll durch die Materialität das Zusammenspiel traditioneller Zimmermannskunst mit modernem maschinellen Freiform-Abbundes hervorgehoben werden. Zum anderen soll die zeitgemäße Verwendung nachwachsender Laubhölzer wie Eichenholz einen Modellcharakter haben und unterstützen, dass sich die Holzbaubranche auf die regionalen Forstsituationen und den Waldumbau einstellt. Schon jetzt liegt der Eichenholzbestand in den heimischen Wäldern bei ca. 35 %.

Die Laubholzart Eiche trägt mit Ihrer guten Dauerhaftigkeitsklasse auch zu einer natürlichen Resistenz des Fassadensystems bei. Die langen Trocknungszeiten dieser verhältnismäßig schweren Holzart begründen aktuell noch seine geringe Etablierung im Bereich des Bauwesens. Dennoch handelt es sich um ein weit verbreitetes, ausgesprochen dauerhaftes Material, dessen Leistungsfähigkeit auch im Zuge der aktuell viel diskutierten Waldumbauten hin zu mehr Biodiversität sicher noch verstärkt in Erscheinung treten wird. 

Auch wenn es aktuell noch schwer zu beziehen ist, konnte im vorliegenden Projekt über die Firma Tombers in Mehren die regionale Wertschöpfungskette genutzt werden und aus den Wäldern von Saarburg bis Koblenz Eichenholz in den erforderlichen Abmessungen eingeschlagen, getrocknet, gesägt und zum Teil gehobelt werden. Die wegen der Gerbsäure der Eiche erforderlichen Edelstahlschrauben tragen ebenfalls zu einer langzeitstabilen Konstruktion bei.

Technik und Details

Dem zentralen Thema des Holzschutzes konnte, neben dem Einsatz von der geeigneten Holzart Eiche, durch die Vermeidung direkten Erdkontaktes, eine dauerhafte Luftumspülung der Holzbauteile und durch die Wahl verzinkter und zum Teil beschichteter, stählender Grundkonstruktionsteile Rechnung getragen werden. Bis zur Wahl des ausgeführten Korrosionsschutzes für den Stahl wurden auch Alternativen wie beispielsweise Edelstahl in Betracht gezogen. Die Entscheidung fiel in Absprache mit dem Metallfachbetrieb auf verzinkte und zusätzlich beschichtete Stahlteile. Eine einheitliche Materialwahl mit ausreichender Beschichtungsdicke wurde wegen möglicher Probleme der Kontaktkorrosion bei unterschiedlichen Stahlsorten vorgezogen.

Insbesondere der erfahrungsgemäß im Holzbau kritische Spritzwasserbereich am Übergang vom Fundament zur Holzkonstruktion erforderte die Verwendung geeigneter Materialien. Da diese Stellen auch statisch hoch beansprucht sind, wurden in Stahlbetonfundamente eingespannte Stützen aus verzinktem Stahl mit handelsüblichem Doppel-T-Querschnitt gewählt. An deren Flasche konnten Knaggen mit halbrunden Aufnahmen angeschweißt werden, an denen die Holzkonstruktion befestigt werden konnte. Dadurch gelang es, die Holzbauteile mit ausreichendem Abstand gegenüber der Geländeoberkante zu platzieren.

Die Lasten der vertikalen Hauptstruktur möglichst dezent in Richtung lastabtragender Stützen abzuleiten und dabei die Montierbarkeit nicht unnötig kompliziert zu machen war der initiierende Gedanke für die Evolution des „Prinzip Kleiderstange“ genannten Systems. Die Eichenbohlen auf ein rundes Stahlrohr aufgefädelt und fixiert konnten so als einzelne Elemente schnell an die Stützen angehangen und befestigt werden. Diese „Kleiderstangen“ wurden farblich anthrazit abgesetzten und treten hierdurch gegenüber den Eichenkanthölzern optisch in den Hintergrund.

Die Spannweiten der Elemente waren durch die Außenabmessungen der Rundrohre im Verhältnis zu den Kantholzabmessungen und den statisch und optisch notwendigen Holzabmessungen neben den Bohrungen für das Stahlrohr reglementiert. Die statische Planung durch das Büro Volkmann berücksichtigte zur Aufrechterhaltung eines einheitlichen Erscheinungsbildes auch variierende Rohrwandstärken.

Es ging im Rahmen der Entwicklung auch darum die mögliche Dauerhaftigkeit von Holz bei direkter Bewitterung zu maximieren und zu zeigen, dass mittels durchdachter Ansätze bzgl. des konstruktiven Holzschutzes und die Wahl einer geeigneten Holzart auch unter diesen klimatischen Bedingungen langlebige Konstruktionen realisiert werden können. Hierfür mussten Wasseransammlungen an allen Kontaktstellen bestmöglich reduziert werden, um somit potentielle Stellen beschleunigten biologischen Abbaus auszuschließen.   

Neben der Abdeckung sämtlicher von oben frei bewitterten Hirnhölzer mit Aluminiumblech- Mauerabdeckungen und den hinterschnittenden Längsstößen ist ein besonderes Augenmerk auf die Kontaktstellen zwischen den gebohrten Eichenbohlen und den „Kleiderstangen“ gelegt worden. Konische Bohrungen mit Hochpunkt in der Mitte sorgen für einen Wasserablauf und die Reduktion der Kontaktfläche auf ein statisch erforderliches Minimum bei gleichzeitiger Ausbildung von Tropfkanten in ausreichendem Abstand zu den Holz-Stahl-Kontaktflächen. Für die maschinelle Herstellung dieser derart konstruierten Bohrungen ist eigens ein Kombi-Element mit Unterstützung des Abbundprogramm-Herstellers Dietrich’s entwickelt worden. Auch wenn diese Spezialdetails die Abbundzeit verlängern, lässt sich festhalten, dass die gewählte Lösung für das gesamte Fassadensystem unter maximalem Maschineneinsatz eine Zeitoptimierung der lohnintensiven Herstellung und Montage ermöglicht und eine hervorragende Dauerhaftigkeit verspricht.

Ausblick

Dieses Fassadensystem soll insbesondere dazu beitragen, bei den Kunden Bewusstsein für das Holz und vor Allem mehr Mut zum Holzbau zu erwecken und die üblichen Ressentiments gegenüber dem natürlichen Baustoff abzubauen.

Optische Auflockerungen durch variierende Querschnittsabmessungen und Abstände ermöglichen das Fassadensystem nicht nur zur direkten Bekleidung von Wandelementen zu nutzen sondern diese fort zu führen, um in unbebauten freien Flächen Räume zu schaffen, die variabel lichtdurchflutet und gleichzeitig mehr oder weniger optisch abgetrennt sind und somit Gelände und Räume neu gestalten. Zum Beispiel zur Schaffung von gemütlichen Innenhofsituationen für Winzerbetriebe. Auch der schnelle Austausch einzelner Elemente und ggf. das Anbringen von alternativen Elementen wie Werbeflächen o.ä. sind problemlos möglich.

Am Ende temporärer Nutzungen können die Elemente im Rahmen einer Kaskadennutzung weiteren Anwendungen zugeführt werden, wie z.B. der Neuelementierung für eine neue Fassade, der Nutzung als Bauzaun, Pergola oder Ähnliches. Auch die sortenreine Trennung ist unproblematisch, so dass die Hölzer anschließend einem anderen Verwendungszweck zugeführt werden, bis letzten Endes zur thermischen Verwertung. Der Verwendungszweck der Elemente ist vielfältig und soll Vorzeigeprojekt für weitere Fassadengestaltungen in der Weinbauregion Mosel sein. Durch den schnellen Vorfertigungsprozess lassen sich so die vielfältigsten Fassaden im Bestand verschönern und regional anpassen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es im Zuge dieses Projektes durch die Förderung des Ministeriums für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten des Landes Rheinland-Pfalz gelungen ist, ein preiswertes, ökologisch nachhaltiges und optisch anspruchsvolles Fassaden-System zur ganzheitlichen Aufbesserung von Industrie- und anderen Bestandsfassaden zu entwickeln.

Weiter Anwendungsgebiete dieses montagefreundlichen Systems sind z.B. selbststehende Schließungen von Baulücken, Bauzäune, die Substitution üblicher Abtrennungsbauwerke wie kostenaufwendige Bruchsteinwände oder die Kreation neuer Räume mit variabler Teiltransparenz. Eine breite Anwendung dieser Rebenwände bzw. dieser Rebenoptik im Moseltal wird den ersten Eindruck eines Touristen positiv beeinflussen.